DE Gründung des Kollegiatkapitels
03.03.2020 | Das Kollegiatkapitel der Hl. Peter und Paul auf dem Vyšehrad wurde um 1070 von einem der bedeu-tendsten Herrscher des tschechischen Mittelalters, dem Fürsten Vratislaus II., gegründet, der vom 28. Januar 1061 bis zum 14. Januar 1092 regierte, 1085 zum ersten König von Böhmen gekrönt und auch König von Polen wurde.
Bereits Ende des 10. Jahrhunderts wurde auf dem Vyšehrad eine Burg als Residenz des Herrschers und Gegenstück zur Prager Burg gebaut. Als 1061 Vratislaus II. auf den fürstlichen Thron kam, erweiterte er seine Vyšehrader Residenz großzügig. Während die Prager Burg in ihrer Größe durch die felsige Landzunge über der Moldau limitiert war, stand dem Fürsten auf dem Vyšehrader Felsen weitaus mehr Platz zur Verfügung, um dort einen repräsentativen Palast zu errichten. Zudem entzog er sich hier auch der konfliktträchtigen Beziehung mit seinem Bruder, dem Bischof Jaromír (Gebhard), der wie alle Bischöfe direkt auf der Prager Burg lebte.
Um seine Macht zu stärken, gründete Vratislaus II. an seiner Vyšehrader Residenz eine neue kirchliche Institution, das Stiftskapitel mit einem Propst an der Spitze (der erste historisch belegte hieß Benedikt), und er stattete das Kanonikerstift mit Grundbesitz und zahlreichen Gütern aus. Gleichzeitig ordnete er das Stiftskapitel aus eigener Machtvollkommenheit direkt dem Papst in Rom unter, so dass es weder dem Bischof von Prag noch dem Mainzer Erzbischof unterlag, der auch für die Prager Diözese zuständig war.
Die große Stiftskirche, programmatisch dem Apostel Peter als Oberhaupt der Kirche Christi geweiht, wurde zum wichtigsten Tempel auf dem Vyšehrad. Die kostspielig gebaute Kirche bildete ein ideologisches Gegenstück zur bischöflichen Basilika St. Veit, Wenzel und Adalbert auf der Prager Burg. Indem die Vyšehrader Stiftskirche und die ganze neue Herrscherresidenz unter den Schutz des Apostelfürsten Petrus, später auch des Paulus und Clemens, des vierten Bischofs von Rom und Papstes, gestellt wurde, kam es zu einer direkten Verbindung des Vyšehrad mit den Anfängen der Römischen Kirche und deren Zentrum.
Vratislaus gründete das Kanonikerstift auch mit seiner großzügigen Auffassung der Außenpolitik im Auge. Er beauftragte die einzelnen Kanoniker, wahrscheinlich Gebildete aus dem Ausland, mit Verhandlungen mit der päpstlichen Kurie sowie mit dem römisch-deutschen König und späteren Kaiser Heinrich IV., von dem er die Königswürde erhielt.
Die Exemtion des Stiftskapitels (d. h. seine Ausgliederung aus der kirchenrechtlichen Zuständigkeit des Prager Bischofs und direkte Unterstellung unter den Papst) sowie seine Güter wurden faktisch erst vom Papst Lucius II. durch ein im römischen Lateran abgefasstes Privilegium vom 11. April 1144 bestätigt. Dadurch zeigt sich, dass die Exemtion bis zu jenem Jahr vornehmlich aufgrund des Willens und der Macht des Fürsten und Königs Vratislaus sowie dessen Nachfolger auf dem böhmischen fürstlichen Thron anerkannt wurde.
Nach dem Text von PhDr. Denko Čumlivský vom Tschechischen Nationalarchiv, bei dem wir uns an dieser Stelle anlässlich des 950. Jubiläums der Gründung des Kollegiatkapitels für die langjährige Zusammenarbeit sehr bedanken möchten.
Foto: In der Abschrift bzw. dem Falsum der Gründungsurkunde wird der Fürst Vratislaus ausdrücklich genannt. Siehe Tschechisches Nationalarchiv [Národní archiv ČR], Archiv des Kollegiatkapitels auf dem Vyšehrad (1130–1523) 4, in: monasterium.net. Online hier verfügbar